Evangelischer Arbeitskreis der CDU Sachsen

Andacht zum Jahresbeginn 2023

im Rahmen der Vorstandsklausur der Sächsischen Union am 06./07. Januar 2023

Jahreslosung 2023 „Du bist ein Gott, der mich sieht.“(1. Mose 16,13)

Losung für den Evangelischen Kirchentag 2023„Jetzt ist die Zeit.“ (Markus 1, 15) – Hoffnung für alle

Es gäbe viele Bibelzitate, um eine Andacht zu Beginn des Jahres 2023 zu halten, ich will mich mit diesen beiden von Ihrer Grundaussage Zuversicht verbreitenden Losungen beschäftigen. Die eine gleich am Anfang aus dem Alten Testament im 1. Buch Mose, die andere aus dem Neuen Testament, zu Beginn des Markus-Evangeliums in dem das Wirken Jesu Christi in Galiläa beschrieben wird.

Die Jahreslosung wird von der Ökumenischen Arbeitsgemeinschaft für Bibellesen (ÖAB) für jedes Jahr aus der Bibel ausgewählt, drei Jahre im Voraus. Die Jahreslosung gilt vielen Christen vor allemdeutscher Sprache als Leitvers für das  Jahr. Die diesjährige Jahreslosung hat eine Besonderheit: Zum ersten Mal seit 1930 ist die Jahreslosung ein Zitat einer Frau. Die Frau, die hier spricht ist Hagar. Die Jahreslosung macht Mut, verbreitet Zuversicht, aber die biblische Geschichte, in der dieser Zuspruch stattfindet, hat es „ordentlich in sich“.

Abraham lebt mit seiner Frau Sara auf dem heutigen Gebiet von Israel. Hagar ist eine arme, ägyptische Magd. Sie dient Sara, der Frau Abrahams – Sara ist eine schöne Frau, aber sie wird einfach nicht schwanger. Abraham ist hochbetagt und hat keine Nachkommen. Abraham liebt seine Frau und steht zu ihr. Aber keine Kinder zu haben – das lastet als großer Druck auf dem Paar. In der Welt unseres Textes ist das ein schwerwiegendes Manko. Es fehlt der Stammhalter, der die Familienlinie fortsetzt, und das trotz Gottes wiederholter Verheißung, dass Abraham einen Sohn bekommen würde. Gott hat versprochen, dass sich das noch ändern wird, dass die beiden viele Nachkommen haben werden. Aber irgendwie erweist sich diese Verheißung als Wanderdüne und löst sich nicht ein.

Die Geschichte von Hagar und Ismail ist eine für uns Christen ziemlich harte Geschichte im Alten Testament. Eines Tages schickt Sara ihre Magd Hagar zu Abraham. Ob sie will oder nicht, sie muss seine zweite Frau werden. Auf diese Weise will Sara - durch Hagar - doch noch Mutter werden. Ein Skandal ist das nicht – so etwas ist üblich damals, aber seelisch muss das eine belastende Situation für alle drei sein. Abraham allerdings macht alles bereitwillig mit. Er hat nichts zu verlieren. Vielleicht hat Gott sein Versprechen ja selbst so gemeint? Ja, alle tun, was üblich ist und was zum Guten dienen soll.

Wenn von allein nichts passiert, dann muss jemand das Heft in die Hand nehmen. Genau das tut Sara und erweist dabei große Selbstlosigkeit. Wenn sie schon nicht die Mutter eines Kindes sein kann, dann soll wenigstens Abraham Vater sein dürfen – und zwar mit Hilfe ihrer Dienerin, Hagar. Alles dreht sich um Abrahams Sohn als sei das das Wichtigste auf der Welt. Nach Sarahs Bedürfnissen und Ängsten fragt niemand, auch sie selbst nicht. Die große Verheißung eines Nachkommen lässt vor allem sie wie eine Versagerin dastehen, weil sie ihren Part nicht erfüllt. Und diese Rolle nimmt sie an.

Wir sollten uns Sara weder naiv noch verschüchtert vorstellen. Im Gegenteil, sie weiß eigentlich immer, was gespielt wird, zeigt dabei aber eben eine enorme Leidensfähigkeit, jedenfalls bis zu einem gewissen Punkt. Ihr Plan geht zunächst auf. Abraham zeugt mit Hagar den erhofften Sohn. Aber nun findet sie sich vollständig im Abseits vor. Hagar, die junge Frau und nun werdenden Mutter,

läuft ihr den Rang ab. Und das ist dann doch mehr als Sara ertragen kann, und so schlägt sie zurück: Sie lässt sich von Abraham freie Hand geben, ihre Dienerin zu demütigen und schließlich flieht Hagar aus dem Haus. Das Projekt ‚Nachkomme‘, das Sara selber ersonnen hatte, endet im Desaster für alle Beteiligten.

Freilich scheitert Saras Plan auch an Hagar, der ägyptischen Sklavin. Ihre fremdländische Herkunft wird mehrfach betont. Als Ausländerin hatte sie noch weniger Rechte als eine hebräische Sklavin. Sie steht ganz unten in der sozialen Hierarchie, und vielleicht war das auch ein bisschen Sarahs Kalkül. Hagar hätte, trotz Sohn, keine wirkliche Konkurrentin sein dürfen. Aber es kommt anders. Die

ägyptische Sklavin wittert ihre Chance und lässt die Muskeln spielen. Dass sie schwanger ist, katapultiert sie vom Rand ins Zentrum des Geschehens. Für einen Moment ist sie diejenige, die die Verheißung wahr werden lässt. Dass Sara ihr das überhaupt erst ermöglicht hat, scheint keine Rolle zu spielen. Aber am Ende verliert sie alles und bleibt einsam zurück.

Ein filmreifes Familiendrama, finde ich. Es menschelt an allen Ecken und Enden, weil Menschen eben immer beides sind: selbstlos an der einen Stelle und egoistisch an der anderen, mal einfühlsam und dann wieder indifferent. Und genauso wenig wie wir heute, haben sich die Charaktere unserer Erzählung im Griff. Manchmal sieht man das Desaster, auf das man zusteuert, und kriegt trotzdem die Kurve nicht, weil man eben doch nicht der erste sein will, der nachgibt.

Familien, in denen ein Elternteil, meist die Frau, allein erziehend ist, weil die Partnerschaft oder Ehe auseinanderbrach – das ist heute normal. Trotzdem gehören dazu oft Geschichten, die mit Unglück und seelischen Verletzungen verbunden sind. Häufig sind die Kinder diejenigen, die mitleiden, ohne dass sie selbst das alles irgendwie beeinflussen können. Allgemein denken wir: Nein, so soll es nicht sein. Kinder brauchen eine heile, vollständige Familie – das wäre auch in Gottes Sinne.

Familien mit einem Elternteil erscheinen uns meist als unvollständig. Da fehlt etwas. Weil Kinder immer beide Eltern brauchen. Und meist empfinden die Betroffenen es ähnlich. Sie empfinden vielleicht den Makel des Scheiterns. Zweifel nagen: Hat da von Anfang an kein Segen drauf gelegen - auf unserem gemeinsamen Weg? Welche Schuld trifft mich? Was ist jetzt mit mir, mit uns? Sehen mich jetzt andere nur noch mitleidig an oder vielleicht sogar geringschätzig? Kann ich meinem Kind, meinen Kindern eine Zukunft bieten? Und wer wird mich lieben?

In biblischen Zeiten herrschten völlig andere Umstände als heute. Die Abhängigkeit einer Frau von ihrem Ehemann war so groß, dass eine Trennung nichts Alltägliches sein konnte. Wenn, dann weil die Frau keine Kinder bekam und wieder zurückgeschickt wurde zur Familie. Oder sie blieb, und der Mann nahm eine Zweite. Ganz andere Umstände also. Aber trotz der festen Strukturen: heile Familie war das nicht immer, auch nicht bei den Stammvätern. Und so gibt es in der biblischen Geschichte aus dem Alten Testament eine Frau, die sich schließlich in der Situation einer Alleinerziehenden wieder fand: Hagar, Magd von Stammmutter Sara und Zweitfrau von Stammvater Abraham.

Wie geht ihre Geschichte und wie konnte es zu so einem Scheitern kommen, obwohl doch gerade Abraham Gott so nahe war, ein Mensch, der Gottes Verheißungen glaubte und den Gott durch sein Leben in besonderer Weise begleitete? Sara, die erste Frau, sitzt am längeren Hebel. Sie quält die Schwangere, bis die in die Wüste flieht.

In der Wüste kommt Gott durch einen Enge zu Hagar. Gott nimmt ihr Elend war, spricht ihr Mut zu. Aber er verurteilt an dieser Stelle niemanden, weder Hagar, die sich mit neuem Stolz durch ihre Schwangerschaft Illusionen gemacht hat,

noch Sara, die alles angezettelt hat und dann nicht damit umgehen kann,

noch Abraham, der alles mitmacht, als ob er nur mit seiner Frau keinen Ärger haben will.

Der Engel fragt sie: Woher kommst du? Wo willst du hin? Sie kann nur auf die erste Frage antworten: Ich bin von Sara, meiner Herrin, geflohen.

Auf die zweite Frage, auf die nach der Zukunft, nach ihrem Ziel, weiß sie nichts zu sagen.

Ihre Wirklichkeit kennt keine Möglichkeit. Nicht mehr. Noch nicht. Sie steckt fest.

Wie die Menschen auf der Flucht, die irgendwo zwischen Serbien und Ungarn, im Libanon oder in

Jordanien, auf einer griechischen Insel oder aus der Ukraine kommend oder in Italien oder hier bei

uns in den langen Verfahren feststecken. Woher sie kommen, das wissen sie. Wie es weitergeht mit

ihnen, wo sie hinwollen dürfen, das wissen sie oft nicht.

Die biblische Geschichte verdichtet diese Fluchterfahrung in wenigen Worten und konzentriert sie

ganz auf die schwangere Frau, auf den verletzlichsten Ort, den Menschen kennen, den

verwundbarsten Ort der ganzen Welt. Im Buch der Offenbarung begegnet uns wieder die schwangere

Frau, auf der Flucht vor dem Bösen, das das Leben insgesamt bedroht, indem es diesem einen Leben,

dem noch ungeborenen, im Leib seiner Mutter nachstellt.

Ich bin geflohen. Ich weiß nicht wohin. Immer wieder lenkt die Bibel unseren Blick auf die

Verletzlichen. Wenn schon sonst niemand – Gott nähert sich ihnen

Und Gott schickt Hagar sogar wieder zurück in die alte Situation. Denn es gibt ja keine Alternative.

Was soll sie sonst machen? Nur eins weiß Hagar jetzt: Gott geht mit mir.

Du wirst ein Kind gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen. Das kommt uns bekannt vor – aus

der Weihnachtsgeschichte. Fast wortgleich sagt das der Engel auch der jungen Maria:

Du wirst schwanger werden, einen Sohn gebären und sollst ihm einen Namen geben: Jesus.

Mit dem Namen ändert sich plötzlich alles. Hagar weiß:

Wer einen Namen hat, hat Zukunft.

Wer einen Namen hat, wird unter die Lebendigen gezählt.

Wer einen Namen hat, gehört dazu. Ist vom No-body zum Some-body geworden.

Der Engel gibt dem noch nicht geborenen Sohn der Hagar einen Namen. Ismael. Das heißt: Gott hört.

Der Engel sieht schon, was noch gar nicht da ist. Er sieht die Zukunft mitten in der

undurchschaubaren Gegenwart, die vielleicht noch verdunkelt und überschattet ist von den

schlimmen Dingen der Vergangenheit.

Darauf reagiert Hagar und legt sich auf ihren Namen für Gott fest: Du bist ein Gott, der mich sieht.

Die Zukunft öffnet sich uns gemeinsam, Frau und Kind und Frau und Kind und Gott.

Sie kehrt also zurück und bekommt einen Sohn. Sie nennt ihn Ismael, so hat der Engel es ihr gesagt.

Sie lebt weiter als Dienerin mit Sara und Abraham. Sie fügt sich. Sie freut sich an ihrem Sohn,

genauso wie Abraham. Hagars Sohn wird nicht das Kind sein, auf das alle gewartet haben.

Aber auch dieses Kind erhält eine Verheißung. Auch Ismael wir zum Erstling vieler Völker.

Auch aus ihm wird etwas Besonderes werden. Hagar bleibt nicht einfach mit einem unehelichen Kind

zurück, das am Ende niemand wollte. Da tut sich eine Tür auf, die vorher noch nicht da war.

Dass die Probleme noch lange nicht gelöst sind, zeigt sich Jahre später. Denn Gott will nämlich

Abraham und Sara doch ein gemeinsames Kind schenken: Isaak wird geboren.

In der Geschichte von Sara, Hagar und Abraham hören wir keinerlei Schuldzuweisungen und Wertungen. Dabei würde mir eine Menge Kritik einfallen zum Verhalten der beteiligten Personen, wie sie miteinander und mit ihren eigenen Gefühlen umgegangen sind.

Gott verurteilt und wertet an dieser Stelle nichts. Gott reagiert flexibel auf die gescheiterten und

fehlerhaften Versuche dieser drei, es gut zu machen. Er erneuert das Versprechen für Abraham und

Sara.

Und er segnet Hagar.

Nun möchte ich mich noch der - ebenfalls sehr zusprechenden - Losung für den Kirchentag 2023

zuwenden: „Jetzt ist die Zeit.“

Der Kirchentagspräsident Thomas de Maiziere hat in einem Text in einem kleinen Büchlein zur

Jahreslosung 2023 die Brücke gebaut vom 1. Mose 16, 13 zum Vers aus Markus 1, 15.

„Gott verspricht uns nicht, uns sofort aus einem Tal zu holen... Er verspricht uns nicht, dass der Weg

(...) leicht wird... Das ‚Suchen‘ und ‚Gesehenwerden‘ ersetzt nicht den eigenen Weg, den eigenen

Willen, das Überwinden von Problemen. Aber es trägt.“

Die Losung „Jetzt ist die Zeit“ für den Kirchentag 2023 in Nürnberg zeigt uns an, dass es

jetzt in diesem Moment auf unser Handeln ankommt. Am Ende von gescheiterten gemeinsamen Wegen ist beides wichtig: Wahrgenommen werden in der schwierigen Situation, ohne Verurteilungen. Und dann, im Bewusstsein: „Ich bin nicht allein“, neue

Perspektiven zu entdecken. Denn in jeder Situation gilt: „Du bist der Gott, der mich sieht“.

Und dieser Gott zeigt auch neue Wege.

Eine kleine Randbemerkung in der weiteren Geschichte von Hagar, Sara und Abraham nehme ich als

Zeichen dafür, dass diese Familiengeschichte keine Geschichte menschlichen Scheiterns bleibt:

Als Abraham viele Jahre später stirbt, begraben die beiden Söhne, Ismael und Isaak gemeinsam ihren

Vater. Daraus schließe ich: Die beiden Brüder sind bei alledem nicht zu Feinden geworden.

Gescheiterte Beziehungen bedeuten nicht das Ende von Gottes Segen auf unserem Lebensweg.

Es gibt eben auch die Erfahrung, die Hagar macht: Gott sieht uns, Gott hört uns, genau dann, wenn

andere taub, blind und stumm für uns sind. Das macht uns weder zu besseren, noch frommeren oder

moralisch überlegenen Menschen. Aber es macht uns zu denjenigen, die die Barmherzigkeit Gottes

am eigenen Leib erleben dürfen. Amen.